Goetz

Der neueste Roman von Johannes Wierz. Hier eine Leseprobe. Mehr unter https://johnneswierz.de.

Um endlich einen Schlussstrich unter seine gescheiterte Beziehung zu ziehen, entschließt sich der Erzähler Ordnung in sein Leben zu bringen. Er räumt auf und schafft alles, was ihn an die Vergangenheit erinnert, aus der Wohnung. Dabei stößt er auf einen großen ungeöffneten Umschlag, den ihm ein schwieriger und unangenehmer Zeitgenosse, Goetz, vor zehn Jahren mit den Worten: Wenn ich denn mal tot bin“, überreicht hat. Neben einem Manuskript aus unlesbaren Hieroglyphen fällt ihm ein Schlüssel in die Hände mit dem er nichts anzufangen weiß.Um so mehr er sich in der Stadt auf die Suche begibt und sich nach Goetz erkundigt, desto lauter wird ein Gerücht um eine vollautomatische Cannabisplantage, die Goetz vor seinem Tod angelegt haben soll. So wird die Suche nach dem passenden Schloss für den Erzähler immer beschwerlicher und gefährlicher. Denn mit seiner Fragerei weckt er so manche Kiezgröße aus vergangener Zeit. Dass dabei Goetz als Untoter immer wieder auftaucht, macht die Sache nicht leichter.

Es ist eine unserer letzten Begegnungen gewesen. Goetz hat mir einen dicken Umschlag zugesteckt und gemurmelt: »Wenn ich dann mal tot bin.« Naturgemäß habe ich das nicht ernst genommen, so wie niemand in unserem Alter so etwas damals ernst genommen hat. Wir haben gerade die dreißig überschritten gehabt und uns immer noch unsterblich gefühlt. Der Tod ist etwas für Weicheier und Greise. Sicher, Goetz ist krank gewesen. Der Rücken nach einem Unfall kaputt. Als Postbeamter hat er eine kleine Pension bezogen. Mit achtundzwanzig ist er in Rente gegangen und hat sich Visitenkarten drucken lassen, auf dem sein Name stand, darunter in Großbuchstaben: DEFÄTIST. Auf Anhieb habe ich den Typen mit den irren Augen und der Angewohnheit mit den Zähnen zu klappern, wenn er erregt war, nicht gemocht. Keine Ahnung warum. Anfangs habe ich sogar Angst vor diesem Irren gehabt. Dennoch bin ich ihm zu keiner Zeit aus dem Weg gegangen. Böse Zungen würden es als Sozialromantik bezeichnen oder noch weiter gehen und davon sprechen, dass es mich aufgegeilt hat, mit einem zusammen zu stehen, dem es noch schlechter geht, als mir selbst. »Ich schreibe auch«, hat er mal gesagt, gegrinst und mit den Keramikzähnen geklappert. In seiner Zimmermannshose hat er ohnehin verloren ausgesehen. An einer Kette mit Karabiner hat er die Schlüssel getragen, mindestens zwanzig an der Zahl. Auch die Schuhe haben klobig und viel zu groß gewirkt. Wenn Goetz zur Toilette geschwankt ist, hat man den krummen Rücken und den Buckel gesehen, der neben dem linken Schulterblatt hervorgelugt ist. Gleichzeitig haben die Schuhe bei jedem Schritt geklappert, als ob zusätzliche Gewichte im Inneren gewesen sind. Goetz ist wie ein Roboter gegangen und hat sich in die Schieflage eines Skifliegers begeben können, ohne umzufallen. Am Morgen danach habe ich den fremden Umschlag in meiner Tasche entdeckt und mich erinnert. »Mach ihn frühestens zehn Jahre nach meinen Tod auf«, hat Goetz zu mir gesagt. Wir haben uns jetzt schon über Jahre gekannt und ich habe gewusst, dass er es ernst meinte.
Dreizehn Jahre sind seitdem vergangen. Zufällig habe ich über einen flüchtigen Bekannten erfahren, dass Goetz tot ist. Wir haben uns davor schon aus den Augen verloren. Unser Stammlokal hat einem Reisebüro weichen müssen. In der letzten Nacht, als das Fell in Form von Laut-sprechern, Barhockern, Aschenbechern und Gläsern verteilt worden ist, haben wir uns kurz in den Armen gelegen und uns mit einem Bis dann verabschiedet. Alle haben wir gelacht und wahrscheinlich wirklich gehofft, uns irgendwo in einem ähnlichen Lokal wieder zu sehen.
Aber außer im Fernsehen gibt es keine Wiederholungen, vielleicht noch in Doktorarbeiten oder bei Bestsellerautoren. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ein Massband mit sich führen und am Geburtstag einen Zentimeter da-von abschneiden. Meine Großmutter ist fast 102 Jahre alt geworden. Was spricht dagegen, mit 100 Jahren noch einen Vertrag über drei Bücher abzuschließen? Alles spricht dagegen. Die Zigaretten, der Alkohol, die Frauen, der Liebeskummer, das zerbrochene Herz, die Existenzangst, alles. Wie bringt man einen Bankberater zum Lachen? Wenn man den Wunsch äußert, mit fünfzig Jahren ein Haus bauen zu wollen. Ich habe die Welt nicht gemacht, aber ich bin ein Teil von ihr. Auch wenn in manchen Augen meine Halbwert-zeit längst abgelaufen ist. Alle werden wir älter. Aber genauso leugnen es alle. Vor allem die Werbefuzzies, die später einmal behaupten werden, alles nicht so ernst gemeint oder von alledem nichts gewusst zu haben. Sie werden das Bild vom kleinen Rädchen bemühen und sich nervös an die langen Nasen fassen. Man hat doch Familie werden sie stottern. Alle sind sie unzufrieden, auf dem Weg zur Perfektion, die es sicherlich nicht gibt. Schönheitsoperateure schwören auf Symmetrik und zeichnen mit Filzstiften Kurven auf Haut. Das Ergebnis ist erschreckend. Der glückliche Mensch ist sich selbst genug, er braucht nichts mehr. »Was brauche ich mehr zum Glücklichsein…?«, heißt es in einem Schlager. Das Schreckgespenst jedes Werbefuzzies. Die Unzufriedenheit ist es, die alles antreibt. »Wenn ich unzufrieden bin, kaufe ich mir ein Hemd«, hat der Psychologieprofessor in einer der ersten Vor-lesungen gesagt. Seitdem habe ich ihn beobachtet und heimlich Fotos geschossen. Während meines gesamten Studiums hat er nicht einmal dasselbe Hemd getragen. Am letzen Tag habe ich ihm das Album mit den Bildern geschenkt, ohne bis heute eine Reaktion darauf erhalten zu haben. Ich bin ein Mensch ohne Echo. Wenn ich bei Grün über die Straße gehe, muss ich immer aufpassen. Ich werde nicht gesehen. Im Gewühl der Fußgängerzonen werde ich zu Boden gerissen, wenn ich nicht aufpasse. Auf Klassentreffen oder anderen ähnlichen Veranstaltungen brauche ich erst gar nicht aufzutauchen. Niemand kennt mich oder bringt mit meiner Person irgendetwas in Verbindung. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Künstlerkarriere.
Hallo, was ist los mit mir? Hallo! Staub habe ich geschluckt und nicht zu wenig. Auf dem Dachboden bin ich umher gestiegen, habe mir unzählige Male den Kopf gestoßen und einmal sogar einen rostigen Nagel in die Nase gerammt. Es hat geblutet wie Sau. Aber es gibt schlimmeres, nicht wahr, lieber Goetz? Erinnerst du dich, wie du mir in die Nase gebissen hast und nicht mehr losgelassen hast? Ich bin gezwungen gewesen, die mehrmals so in die Eier zu schlagen, am Ende sie sogar so zu quetschen, bis du wie ein altes Liebespaar nach Luft gerungen hast. Weisst du noch, wie ich ins Krankenhaus gefahren bin? Die Nase blutig bis zum Knochen. Gegen Tollwut, gegen Wundstarrkrampf, Blutvergiftung, und, und, habe ich mich impfen lassen. Blut haben sie mir abgenommen und mit faltiger Stirn von AIDS gesprochen. Das in die Nase beißen, hat ein Urvertrauen zerstört. Niemand ist auf so etwas vorbereitet. Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht. Staub habe ich geschluckt, Unmengen an Staub, Regale habe ich abgerückt, aber nirgends ist dieser gottverdammte Umschlag gewesen. Einen Karton mit Bierdeckeln habe ich gefunden mit Telefonnummern ohne Namen darauf. Zwei Tage habe ich damit verbracht, sie abzutelefonieren. Aber die Namen, am anderen Ende der Leitung haben mir nichts gesagt. Selbst die Stimmen sind mit fremd gewesen, obwohl ich mir sonst Stimmen recht gut merken kann. Von fast jedem fremdsprachigen Schauspieler kenne ich die Synchronstimme. Aber die Stimmen aus meiner Bierdeckelsammlung haben mir nichts gesagt. Nachdem meine Wohnung aussieht, wie nach einer Hausdurchsuchung, bei der mehrere Handgranaten zur Explosion gekommen sind, schaufle ich mir zwischen Büchern, losen Papierbergen und Aktenordnern ein Plätzchen frei. Ich muss überlegen.
Vor zwei Jahren, am dreißigsten Dezember habe ich alle Briefe von einer gewissen Susi Ortmann im Wald verbrannt. Vielleicht ist der Umschlag da mit reingerutscht. Eine Grube habe ich damals ausgehoben und all den seelischen Müll in das Loch geworfen. Naturgemäß ist das Loch viel zu breit und zu tief gewesen. Die paar Bilder und Briefe der Susi Ortmann haben zwischen Wurzeln, Ameisen und Regenwürmern einfach lächerlich ausge-sehen. Ich erinnere mich genau. Im Eiltempo bin ich nach Hause gefahren und haben einen ganzen, nein, drei große Müllsäcke mit Briefen, Postkarten, Liebesbeschwörungen aller Art, auf diese Weise entsorgt. Hinter jedem Aktenordner hat doch so ein verräterischer dicker Umschlag gesteckt, aus dem ich Liebesschwüre und Hasstriaden von Ariane bis Xanthippe gezogen habe. Weg damit, habe ich mir gesagt. Weg damit und alles auf die drei blauen Müllsäcke verteilt. Schnell wieder zurück in den Wald, um vor Einbruch der Dunkelheit mein Werk zu vollenden. Der ganze Ballast hat gebrannt, als würde der Teufel selbst darin stecken. Die Flammen haben so hoch geschlagen, dass mir nichts anderes übrig geblieben ist, als die Hose zu öffnen, um dem Feuer mit Urin Einhalt zu gebieten. Den Rest hat die feuchte Walderde erledigt, die ich in das Loch zurück geschüttet habe. Zum Glück hat ein Schneefall eingesetzt und das Ganze bedeckt. Wahrscheinlich ist der Umschlag von Goetz mit in einen der Müllsäcke gerutscht.
Wenn ich etwas Suche, dann suche ich es, bis ich es gefunden habe. Also zurück in den Keller und auf den Dachboden. Muffige Feuchtigkeit und trockene Trisstesse. Die wertlose Sammlung eines Lebens. Der Umschlag bleibt verschwunden.
Was bleibt da noch? Zurück in die Wohnung, wo ein Unhold gewütet hat. Wie komme ich eigentlich darauf, nach diesem blöden Umschlag zu suchen? Nur weil mir eine Kneipenbekanntschaft bedeutungsschwanger etwas zugesteckt hat, zerstöre ich meine Wohnung?
Hallo! Aufwachen! Ich setze mich auf den freien Platz, den ich mir frei geschaufelt habe und schaue in die Ferne. Der Horizont ein Hügel aus Büchern und Manuskripten, die ich alle gelesen habe. »Sie lesen?«, hat mich misstrauisch der Vermieter gefragt und durch die braune Brille gedroht, bloß nicht zu viele geistige Ergüsse in seine Wohnung zu bringen. »Letztendlich bleibt es meine Wohnung«, hat der Vermieter gesagt und drei Mieten, als Sicherheit, im Voraus verlangt.
So sitze ich da in meiner Unordnung, starre auf einen Stapel geistiger Ergüsse, die ich längst vergessen habe und die mir jetzt so fremd vorkommen. Ich greife mit der linken Hand überkreuz nach rechts, hinein in den Urwald ungeöffneter Briefe. Lila, rot, gelb, sind die Umschläge, – die meisten aber grau und mit Fenster. Schon nach wenigen Versuchen spüre ich plötzlich, das richtige Kuvert in den Händen zu halten. Ein unscheinbarer brauner Umschlag mit dem Siegel einer Knappschaftskasse. Zugeklebt mit mindestens einer Rolle Tesa-film. Kein Zweifel, das muss Goetzes Hinterlassenschaft sein.
»Wenn ich denn mal tot bin«, hat Goetz gesagt und mit den Zähnen geklappert.
Tagelang schleppe ich den Umschlag von einem Zimmer in ein anderes. Das muss unbewusst geschehen sein. Denn, egal welchen Raum ich auch betrete, das geschlossene Kuvert liegt schon da. Es wartet nicht nur, es belauert mich geradezu. Selbst im Bad hat es auf dem Wannenrand gelegen. Ein kleiner Stoß und alles wäre vorbei.
Ich erinnere mich, dass ich noch am Abend, als Goetz mir den Umschlag mit den Worten Wenn ich denn mal tot bin überreicht hat, mit mir gerungen habe, ihn nicht zu öffnen. Die ganze Nacht habe ich damals wach gelegen und mir Argumente überlegt, warum ich das Versprechen, das Kuvert erst nach zehn Jahren zu öffnen, brechen könnte. Zehn Jahre, was für eine Zeit, besonders zwischen dreißig und vierzig Jahren. Das Jahrzehnt in dem endgültig die Weichen gestellt werden: Heirat, Kinder, Hausbau, verknüpft mit der Karriereleiter. All das ist ja in meinem Umfeld passiert. Unmengen an Geld verschenkt, verknüpft mit einer Unterschrift auf einer Glückwunschkarte, auf der schon mehrere dutzend Menschen unterschrieben haben. Namen, die mir allesamt nichts gesagt haben. Fadenscheinig immer eine Entschuldi-gung gefunden, nicht auf einer der unseligen Hochzeiten, Taufen und Hauseinweihungen dabei sein zu müssen. Mein Gott, wie schnell sich Menschen verändern können? Wobei das so ja nicht stimmt. Sie haben einfach ihre jugendliche Revoluzzermaske abgelegt, nicht mehr und nicht weniger. Mit der Welle zu schwimmen bedarf keiner Kunst, selbst für den Toten Mann gibt es das Schwimmabzeichen. Die wirklichen Schwimmer hatten und haben es schwer. Das gegen den Strom schwimmen, kostet eben. Da gehört die Vorstadthölle nicht dazu. Der Preis des Gegen des Strom Schwimmers ist der frühe Tod. »Die Guten sterben immer zu früh«, sagt der Volksmund und fügt auf der anschließenden Trauerfeier nach ein paar alkoholischen Getränken hinzu, während er auf der Toilette das Wasser lässt. »Gut, dass der weg ist!«
Als ich von Goetzes Tod erfahren habe, ist die Welle längst abgeebbt, falls es überhaupt eine gegeben hat. »Übrigens der, wie hieß er gleich noch, ist tot!« Erst durch Nachfragen habe ich erfahren, wer da überhaupt verstorben ist. Heute frage ich nicht mehr nach. Ich verlasse die Wohnung und habe im Park das Gefühl, dass mich jemand verfolgt. Ich mache noch ein paar lässige Schritte, bleibe dann abrupt stehen und drehe mich blitzschnell um. Ein Kind beginnt zu weinen und wird von der Mutter zum Schutz zu ihr herangezogen. Ansonsten leere Wege und Bäume. Vielleicht ist es der Gedanke verbunden mit der Frage, was mich erwartet? Vielleicht ist Goetz ein großer Witzbold gewesen und er hat nur leere Seiten in den Umschlag gesteckt. Aber würde jemand leere Seiten in einen Umschlag geben, um ihn anschließend mit einer ganzen Rolle Tesafilm zu versiegeln? Normal nicht, ein Psychopath schon. Goetz hat sich gebrüstet, alle Stationen der Landesklinik durchlaufen zu haben. Einmal sei es ihm sogar gelungen, nachdem man ihm am Bett an Händen und Füßen fixiert hat, mit samt dem zentnerschweren Bett durch die Klinik zu trippeln. Gut, es sind nur ein paar wenige Meter gewesen, aber immerhin. Zu den Besuchszeiten, besonders am Wochenende, hat er sich regelmäßig den Spaß gemacht, sich vom Treppen-haus in die Fangnetze zu stürzen, die über der Eingangs-halle gespannt sind. Doch, Goetz würde ich alles zutrauen. Ich mache kehrt. Heute würde der Tag sein. Ohne Kerzen und eine gute Flasche Wein. Einfach den Umschlag aufreißen und gut ist. Ab wann verfällt bei einer Briefbombe das Haltbarkeitsdatum?
Immerhin hat Goetz mir in die Nase gebissen und versucht mir mit dem Zeigefinger ein Auge auszustechen. Eine Briefbombe würde zu Goetz passen, das ist genau sein Humor. Vielleicht hätte ich genauer nachfragen sollen, wie er ums Leben gekommen ist. Der Mann ist noch keine vierzig Jahre alt geworden. Andererseits hätte es in der Zeitung gestanden, wenn Goetz bei Experimenten in seinem Bombenlabor ums Leben gekommen wäre. Nein, so genau will ich es auch nicht wissen. Denn andererseits kann es sein, dass Goetz, sein Innerstes niedergeschrieben hat, mit dem ich nicht unbedingt konfrontiert werden will. Was weiß ich über Goetz? Nichts! Man kennt sich ja selbst nicht. Aus einem Mülleimer im Park lugt ein weißer Umschlag heraus, der mit Tesafilm umwickelt ist. Ich muss dieses unsägliche Spiel beenden. »Sie haben mein Kind traumatisiert. Ich werde sie regresspflichtig machen. Bitte geben Sie mir Ihre Kontonummer, gegebenenfalls eine Einzugsermächtigung. – Piep – Sie haben mein Kind…«
Ich flüchte nach Hause. An einem Weiher vorbei, auf dem große Lotusblüten schwimmen, aus dessen Blüten Umschläge mit umwickelten Tesafilm hervor lugen. Die Kuverts sind überall, regnen sogar vom Himmel. Es wird Zeit, dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Schon während des Aufschließens der Wohnungstür spüre ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Ein kühler Windstoß begrüßt mich, als ob ich ein Fenster offen gelassen hätte. Aber sie sind alle verschlossen und unversehrt, wie ein Kontrollgang mir bestätigt. Eine Stunde bin ich auf der Suche nach dem Umschlag. Sogar das Rauchen habe ich wieder angefangen. Ich habe ihn hier hingelegt! Natürlich kann ich das beschwören! Oder ist es doch da oder dort gewesen? Ich schnappe mir eine Flasche, die ich vor Jahrzehnten zum Einzug bekommen habe und entkorke den Grappa, der nach eingelegten Rosinen schmeckt.
Im Grunde hat Goetz immer Ärger bereitet. Zu Lebzeiten und jetzt sogar über den Tod hinaus. Wahrscheinlich wird die Verwandtschaft seine Schulden bis heute abbezahlen. Wahrscheinlich ist das von vorn-herein seine Absicht gewesen, als er mir den Umschlag mit den Worten übergeben hat: »Wenn ich dann mal tot bin!«, mir nichts als Ärger zu bereiten. Wie ein erfolgloser Detektiv lege ich meine Beine auf den Schreibtisch und trinke bittersüßen Alkohol. Gleichzeitig versuche ich mich ohne Zuhilfenahme der Hände der Schuhe zu entledigen. Der eine fliegt hinter eine Musikbox, der andere in kleinerem Bogen auf den Boden, wobei der Aufprall ein seltsames Geräusch verursacht. Er ist hinter den Schreibtisch gefallen, auf einen dicken satten Umschlag, der mit einer Rolle Tesafilm versiegelt ist. Jetzt oder nie. Jetzt könnte ich den Umschlag öffnen, aber ich schlafe ein. Habe komische Träume. Goetz verfolgt mich, taucht mehrfach auf, wie in der Matrix. Die Sonnenbrille hat er weggelassen. Dafür will er mir andauernd in die Nase beißen. Was bewegt einen Menschen dazu, einem anderen in die Nase zu beißen? Und wieso, träume ich davon?

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